Das Hereditäre Angioödem ist eine genetisch bedingte Erbkrankheit, die starke Schwellungen der Haut und Schleimhäute an verschiedenen Körperteilen verursacht. Neben der Haut können auch innere Organe oder der Kehlkopf anschwellen, was lebensbedrohlich für die Patienten ist.
Hintergrund
Das Hereditäre Angioödem (HAE) ist eine seltene genetische Erkrankung, die schätzungsweise zwischen 1 von 10.000 und 1 von 50.000 Menschen weltweit betrifft. In Deutschland sind etwa 1.600 Patienten diagnostiziert. Die wichtigsten Merkmale sind wiederkehrende Schwellungen (Ödeme) der Haut in verschiedenen Bereichen des Körpers sowie der Atemwege und der inneren Organe. Die Hautödeme betreffen gewöhnlich Hände und Füße, das Gesicht und den Genitalbereich. Der Begriff „Hereditäres Angioödem“ wirkt kompliziert, ist aber leicht zu erklären.
Das Wort „hereditär“ bedeutet „erblich“; „Ödem“ ist der medizinische Fachausdruck für „Schwellung“. Bei einem Angioödem beruht diese Schwellung auf einer erhöhten Durchlässigkeit der Gefäßwände. Die Abkürzung HAE für Hereditäres Angioödem leitet sich von dem englischen Begriff „hereditary angioedema“ ab.
Die Hautödeme sind zwar nicht lebensbedrohlich, können aber derart schmerzhaft und entstellend sein, dass Patienten, die unter einer akuten HAE-Attacke leiden, sich häufig aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Fast alle Patienten mit HAE leiden an Anfällen mit starken Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall aufgrund der Anschwellung der Darmwand. Ödeme des Rachens, der Nase oder der Zunge sind besonders gefährlich und können lebensbedrohlich sein. Sie verursachen eine Verengung der Atemwege. Es gibt derzeit keine bekannte Heilungsmöglichkeit für HAE, aber es ist möglich, die Symptome, die bei den Ödemattacken auftreten, effektiv zu behandeln oder sogar ganz zu verhindern.
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Ursache
Beim Hereditären Angioödem (HAE) liegt eine Veränderung im Erbgut – ein sogenannter Gendefekt – vor. Der Defekt führt in einem überwiegenden Teil der Fälle zu einem Mangel am Protein C1-Inhibitor, der bei gesunden Menschen die Aktivität des Enzyms Plasma-Kallikrein kontrolliert. Da bei HAE-Patienten diese Hemmung nicht ausreichend ist, wird kurz vor und während einer HAE-Attacke durch Plasma-Kallikrein mehr vom Hormon Bradykinin produziert als nötig. Bradykinin ist ein Hormon, dessen Anstieg zur Erweiterung von Gefäßen und der Erhöhung der Gefäßdurchlässigkeit führt. Die Folge: Die Blutgefäßwände werden durchlässig, Flüssigkeit wandert aus den Gefäßen ins Gewebe, die Haut schwillt an. Bei Schwellungen im Magen-Darm-Trakt ziehen sich die Muskeln dieser Organe zusammen und können Krämpfe und Schmerzen im Bauchraum verursachen.
HAE-Patienten haben entweder eine zu geringe Konzentration an C1-Inhibitoren (Typ-1-HAE) oder einen C1-Inhibitor, dessen Funktion herabgesetzt ist (Typ-2-HAE). Sehr selten treten auch in anderen Genen Defekte auf, welche direkt oder indirekt zu zu hohen Bradykininmengen und Ödemen führen können. Funktion und Konzentration des C1-Inhibitor sind bei diesen Patienten unverändert. Während einer HAE-Attacke kann der C1-Inhibitor die Bradykininfreisetzung nicht mehr in ausreichendem Maß kontrollieren; es kommt zu einer Erhöhung der Bradykininspiegel im Blut.
Der genetische Fehler, der HAE verursacht, ist autosomal dominant erblich. Das bedeutet, dass ein Kind mit einer fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit diese Krankheit bekommt, wenn entweder die Mutter oder der Vater von HAE betroffen sind. Wenn in einer Familie bisher noch kein HAE aufgetreten ist, kann die Diagnose HAE trotzdem nicht ausgeschlossen werden. Bis zu 25 Prozent der diagnostizierten HAE-Fälle beruhen auf einer neuen Veränderung (Spontanmutation) der für HAE entscheidenden Gene. Betroffene Patienten können das fehlerhafte Gen jedoch an ihre Kinder vererben.
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Typische Symptome
Typische Anzeichen von HAE sind starke, örtlich begrenzte Schwellungen (Ödeme) an verschiedenen Körperteilen. Sie können an der Haut von Händen, Füßen und Gesicht, aber auch im Magen-Darm-Trakt, im Mund, am Kehlkopf und an der Luftröhre und manchmal auch an den Geschlechtsorganen und in der Blase auftreten.
- Hautschwellungen
- Schwellungen im Magen-Darm-Trakt
- Besondere Vorsicht bei Rachenschwellungen
Normalerweise entwickeln sich die Schwellungen während einer HAE-Attacke langsam über mehrere Stunden. In den ersten 12 bis 36 Stunden werden die Schwellungen ohne Behandlung allmählich stärker und nehmen nach zwei bis fünf Tagen wieder ab. Attacken im Bauchraum können auch mit plötzlichen und starken Schmerzen beginnen, bevor Anzeichen von Ödemen (ein dicker Bauch durch austretende Flüssigkeit in die Bauchhöhle) erkennbar sind.
Die Schwellungsattacken treten immer wieder auf: bei manchen Menschen häufig (mehrmals wöchentlich), bei anderen selten (einmal im Jahr oder seltener). Leider ist es nicht möglich, vorherzusagen, wann oder an welchem Körperteil die nächste Attacke auftritt.
Hautschwellungen
Hautschwellungen zeigen in der Regel keine Rötung, vermehrte Wärme oder Juckreiz, können aber schmerzhaft sein. Dabei sind Hände und Füße, das Gesicht und der Genitalbereich betroffen. Die entstellten Körperteile und die Schmerzen sind zwar nicht lebensbedrohlich, können aber für die Betroffenen sehr belastend sein, weil sie sich so nicht in der Öffentlichkeit zeigen wollen und weil dadurch normale tägliche Aktivitäten schwierig oder sogar unmöglich werden können (z. B. wenn Hände oder Füße geschwollen sind).
Schwellungen im Magen-Darm-Trakt
Schwellungen im Magen-Darm-Trakt können starke Bauchschmerzen, Bauchkrämpfe, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen verursachen. Weil diese Anzeichen häufig auch bei anderen Erkrankungen auftreten, wird bei HAE-Patienten mit Magen-Darm-Attacken oft eine falsche Diagnose gestellt.
Besondere Vorsicht bei Rachenschwellungen
Schwellungen im Bereich der Luftröhre, am Kehlkopf, im Rachen oder an der Zunge sind besonders gefährlich, weil man daran unter Umständen ersticken kann. In diesen Fällen muss unbedingt sofort ein Arzt aufgesucht werden!
Die meisten HAE-Attacken treten plötzlich auf, können aber auch durch eine Verletzung oder durch emotionale oder körperliche Stresssituationen ausgelöst werden. Von betroffenen Patienten wurden Operationen, Angstzustände, Erkrankungen wie Erkältung oder Grippe, Insektenstiche und auch bestimmte Nahrungsmittel als Auslöser für ihre Attacken angegeben. Eine Verletzung im Mund durch eine zahnärztliche Behandlung stellt für HAE-Patienten ein Risiko dar, da sie eine HAE-Attacke im Rachenraum auslösen kann. Bei manchen Patienten traten nach Tätigkeiten wie längerem Schreiben, Hämmern, Sport und anderen körperlichen Betätigungen auch Schwellungen an den Händen auf. Bei Frauen scheint die Monatsblutung oder eine Schwangerschaft einen deutlichen Einfluss auf die Häufigkeit und die Stärke der HAE-Attacken zu haben.
Bei einigen Frauen kommt es während der Monatsblutung zu häufigeren HAE-Attacken. Auch während der Schwangerschaft treten bei einigen Frauen die HAE-Attacken häufiger auf, während bei anderen Frauen die HAE-Attacken seltener werden. Die Einnahme der Antibabypille und eine Hormonersatztherapie scheinen ebenfalls zu häufigeren und stärkeren HAE-Attacken zu führen. Frauen, die die Antibabypille einnehmen, sollten daher auf jeden Fall ihren Arzt fragen, bevor sie ihre Medikamenteneinnahme ändern. Von den blutdrucksenkenden Medikamenten sind die sogenannten ACE-Hemmer (Hemmstoffe des Angiotensin-Konversionsenzyms) für HAE-Patienten nicht geeignet, da es sich gezeigt hat, dass die Einnahme bei manchen Patienten eine HAE-Attacke auslösen kann. HAE-Patienten sollten daher mit ihrem Arzt über die Möglichkeit einer anderen blutdrucksenkenden Behandlung sprechen.
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Die Diagnose ist einfach, aber es ist schwierig, die Krankheit zu erkennen. Da HAE selten und relativ unbekannt ist, wird es oft falsch diagnostiziert.
Es ist daher nicht ungewöhnlich für Patienten, dass die Diagnose viele Jahre nicht gestellt wird. Der Grund, warum HAE oft falsch diagnostiziert wird, liegt darin, dass die Symptome denen ähneln, die auch bei vielen anderen bekannten Erkrankungen, wie Allergien oder Blinddarmentzündung, auftreten können. Es ist daher auch besonders schwierig, HAE bei Patienten zu erkennen, die hauptsächlich an Magen-Darm-Attacken leiden. Bei manchen Patienten wird sogar wegen der falschen Diagnose und Behandlung eine unnötige Operation durchgeführt. Die Patienten wissen oft nichts über frühere HAE-Fälle in der eigenen Familie.
Wenn bei Patienten HAE neu festgestellt wird, sollten sie ihre Familiengeschichte auf HAE überprüfen, damit andere Familienmitglieder oder entfernte Verwandte gefunden werden können, die ebenfalls betroffen sein könnten. Das Alter, in dem die Schwellungen erstmals auftreten, kann sehr unterschiedlich sein, aber die meisten Patienten haben ihre erste Attacke in einem Alter von unter zwanzig Jahren. Ein erster wichtiger Schritt zur Diagnose von HAE ist es, den Unterschied zu einer allergischen Reaktion aufzudecken – wie beispielsweise bei Nahrungsmittelallergien, Heuschnupfen usw. Im Gegensatz zu einer allergischen Schwellung sprechen HAE-Attacken nicht auf eine antiallergische Behandlung mit sogenannten Antihistaminika oder Kortison an. Wenn bei einem Patienten immer wieder Ödeme auftreten, können verschiedene Laboruntersuchungen durchgeführt werden, um die Diagnose HAE zu bestätigen.
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Behandlung
HAE ist nicht heilbar, aber es gibt wirksame Therapien zur Vorbeugung und Behandlung von Attacken. Die Therapie des Hereditären Angioödems sollte individuell auf die Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt sein. Für die Therapie des HAE gibt es unterschiedliche Behandlungsansätze. Gemeinsam mit dem Arzt und unter Berücksichtigung der individuellen gesundheitlichen Bedürfnisse und Lebensumstände, wählt der Patienten die für ihn geeignete Therapieoption aus.
Es wird derzeit zwischen der langfristigen Vobeugung (Langzeitprophylaxe), der kurzfristigen Vorbeugung (Kurzzeitprophylaxe) und der Bedarfsbehandlung akuter Schwellungen (Akuttherapie) unterschieden.
Kurzfristige Vorbeugung (Kurzzeitprophylaxe)
Wenn ein medizinischer Eingriff ansteht, der möglicherweise zu einer Schwellungsattacke führen kann, wie z. B. eine Zahnbehandlung oder eine Operation, kann mit C1-Inhibitor-Konzentraten vorbeugend behandelt werden. So lassen sich potenzielle Schwellungsattacken verhindern oder zumindest abschwächen.
Langfristige Vorbeugung (Langzeitprophylaxe)
Eine langfristig vorbeugende Behandlung dient dazu, die Entstehung von Schwellungsattacken zu verhindern. Die Möglichkeit einer dauerhaften, vorbeugenden Behandlung kann bei Patienten in Lebenssituationen erwogen werden, die mit erhöhter Krankheitsaktivität (nach Häufigkeit und Schwere der Attacken beurteilt) verbunden sind. Auch die Krankheitslast bzw. entsprechende Beeinträchtigung der Lebensqualität kann für eine prophylaktische Therapie berücksichtigt werden. Zudem ist eine langfristige Vorbeugung bei Betroffenen, die mit wiederholten Bedarfsbehandlungen nur unzureichend therapiert werden können, zu erwägen.
Bedarfsbehandlung akuter Schwellungen (Akuttherapie)
Grundsätzlich ist es sehr wichtig, eine Schwellungsattacke möglichst früh zu behandeln: Je früher die Behandlung erfolgt, desto weniger schwerwiegend wird die Schwellung und desto schneller bilden sich die Symptome zurück.
Es gibt Mittel, die bei akuten Schwellungsattacken eingesetzt werden können. Ziel der Behandlung einzelner Schwellungsattacken ist es, das Fortschreiten der Schwellung zu verhindern und eine schnelle Linderung herbeizuführen. Das Ziel bei der Behandlung einzelner Schwellungs- oder Schmerzattacken ist es, das Fortschreiten des Ödems zu verhindern und eine rasche Linderung der Symptome herbeizuführen. Bei Patienten mit Ödemen im Rachenraum ist es am wichtigsten, die Atemwege freizuhalten.
Grundsätzlich gilt immer: Je früher die Behandlung erfolgt, desto weniger schwerwiegend wird die Schwellung und desto schneller bilden sich die Symptome zurück. Besonders wichtig ist eine schnelle Behandlung bei Schwellungen am Kehlkopf und im Rachen. Durch die Behandlung werden die Atemwege freigehalten und eine Erstickungsgefahr verhindert. Bei Ödemen der Haut und bei Magen-Darm-Attacken sind oft zusätzliche Maßnahmen wie Medikamente gegen die Schmerzen oder Flüssigkeitszufuhr nötig.
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